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Im Gespräch mit Branimir Sesar – Data Detective

Erschienen am:
12.06.2018

Im Gespräch mit Branimir Sesar – Data Detective Menschen & Ideen bei der Deutschen Börse

Big Data, Smart Data, künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen werden unsere Art zu denken und unsere Geschäftstätigkeiten maßgeblich verändern. Die Deutsche Börse widmet sich daher gezielt der Datenanalyse, um die vorhandene Datenfülle effektiv zu nutzen und somit einen bedeutenden Mehrwert zu schaffen. Gemäß dieser Absicht trägt das Content Lab der Deutschen Börse interne und externe Daten zusammen, verarbeitet und analysiert sie. Unter Verwendung von Mustererkennungsprozessen und Big Data werden so attraktive neue Datenprodukte geschaffen. Ziel des Content Lab ist es, bei der Entwicklung und Anwendung neuer Technologien für die Finanzmärkte eine führende Rolle spielen.

Dafür braucht es Experten, die über Wissen und Kenntnisse verfügen, die man im Finanzsektor noch nicht ohne Weiteres findet. Wir mussten daher auch in anderen Branchen auf Talentsuche gehen. Einer dieser Experten ist Branimir Sesar, der sein Astronomiestudium am California Institute of Technology und am Max Planck-Institut für Astronomie absolviert hat. Was hat den „Star Man“ davon überzeugt, für die Deutsche Börse zu arbeiten?

Können Sie uns zunächst etwas über Ihren Werdegang erzählen?

Ich bin in Zagreb, Kroatien geboren und habe dort mein Physik-Studium abgeschlossen. Während eines Astronomieprojekts habe ich einen jungen kroatischen Wissenschaftler kennengelernt, der in Princeton als Post-Doc angestellt war. Ich habe zu diesem Zeitpunkt mit großen Mengen astronomischer Daten gearbeitet. Ihm hat meine Arbeit gefallen und er hat mir ein Jobangebot gemacht. Als er an der University of Washington in Seattle seine Professur angetreten hat, bin ich zum weiterführenden Studium mitgegangen und habe dann meinen Astronomie-Abschluss gemacht. 2010 habe ich promoviert und meine Stelle als Post-Doc-Wissenschaftler am California Institute of Technology angetreten, wo ich wieder mit großen Datenmengen zu tun hatte. 2013 habe ich ein Stellenangebot von Professor Hans-Walter Rix, einem der beiden Direktoren des Max Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg, angenommen. Das Institut ist an einem Astronomie-Großprojekt beteiligt und Professor Rix war auf der Suche nach jemandem, der mit den umfangreichen Datensätzen umgehen konnte.

Worum ging es bei diesem Projekt?

Das Projekt, an dem ich mitgearbeitet habe, heißt Pan-STARRS 1. Auf Hawaii gab es ein Teleskop, das jeden Abend eine große Menge an Fotos vom Nachthimmel aufgenommen hat, um sie dann in Datentabellen umzuwandeln. Diese wurden wiederum verwendet, um Sterne aufzuspüren, deren Helligkeit wechselt – so genannte veränderliche oder variable Sterne. Manchmal können Sie am Nachthimmel beobachten, wie Sterne flimmern. Die Helligkeit verändert sich aber gar nicht wirklich. Das Flimmern, das wir beobachten, liegt vielmehr an der Luftunruhe der Erdatmosphäre. Einige Sterne jedoch weisen tatsächlich im Verlauf des Tages Helligkeitsschwankungen auf und durchlaufen einen ganzen Zyklus, in dem sie sich von maximaler Helligkeit um Mitternacht zu trüberem Licht zehn Stunden später verändern.

Wozu haben Sie diese Sterne gesucht?

Es gibt verschiedene Arten variabler Sterne. Diejenigen, an denen ich interessiert war, ändern selbstständig ihre Helligkeit. Diese bestimmte Art von Sternen weist eine Kontraktion bzw. Expansion ihrer Oberfläche auf, wodurch die Helligkeit auf eine sehr charakteristische Weise schwankt. Sterne des gleichen Typs verändern ihre Helligkeit auf mehr oder weniger dieselbe Art und Weise und haben eine sehr charakteristische „Handschrift“.

Wie genau gehen Sie dabei vor?

Wird dieselbe Himmelsregion wiederholt beobachtet, kann man die Helligkeit jedes Sterns beobachten und die Veränderungen aufzeichnen. Beobachtet man eine bestimmte Art von Veränderung, lässt sich damit die Art des Sterns bestimmen. Das ist im Grunde genau das, was ich gemacht habe: Ich habe nach dieser Art von Sternen Ausschau gehalten, indem ich die Helligkeitsschwankungen beobachtet habe.

Wie haben Sie diese Informationen ausgewertet?

Eine der größten Herausforderungen in der Astronomie ist die Distanzmessung zum Stern. Das Problem ist, dass wir die tatsächliche Helligkeit des Sterns nicht kennen. Ein Stern kann für uns hell erscheinen, weil er relativ nah ist oder weil er einfach tatsächlich sehr hell ist. Die Schwierigkeit liegt darin, herauszufinden, wie weit entfernt oder hell er ist. Durch die Nuklear- und Astrophysik wissen wir jedoch von variablen Sternen wie hell sie sind, was wiederum bedeutet, dass wir ihre Entfernung zur Erde messen können.
Was mich interessiert hat, war die Struktur der Milchstraße, unserer Galaxie. Anhand der variablen Sterne konnte ich eine dreidimensionale Landkarte der Galaxie erstellen – die bis dato größte und detailreichste – und zwar auf eine sehr weite Entfernung.

Warum sind Sie von der Astronomie in den Finanzsektor gewechselt?

Die Astronomie hielt für mich nicht genügend Herausforderungen bereit. Ich war auf der Suche nach einer interessanten Tätigkeit mit großen Datenmengen und wollte Neues lernen. Ich war neugierig auf die Finanzwelt, weil wir alle Berührungspunkte mit ihr haben, ob wir wollen oder nicht. Sie generiert eine Unmenge an Daten und es geht dabei auch um Menschen – an denen bin ich auch interessiert. Ich wollte herausfinden, wie wir mithilfe des Finanzsystems beobachten oder erkennen können, wie Menschen auf bestimmte äußere Ereignisse reagieren.

Die Erkenntnisse, die ich als Wissenschaftler im Bereich Astronomie erlangt habe, sind vielleicht in tausend Jahren von Interesse. Ich wollte aber im Hier und Jetzt etwas bewirken. Wenn ich durch die Analyse von Finanzdaten dazu beitragen kann, dass Prozesse effizienter gestaltet werden, oder Voraussagen treffen kann, die den Umsatz des Unternehmens steigern, dann führt das zu einem konkreten Ergebnis. Dann kann man beispielsweise sagen, dass ein bestimmter Algorithmus eine Voraussage trifft, und dank dieser hat das Unternehmen eine bestimmte Summe an Geld verdient oder ein bestimmtes Risiko umgangen.

Wie sind Sie zum Content Lab der Deutschen Börse gekommen?

Ich habe mich nach Jobs in der Finanzbranche umgeschaut und bin dabei auf eine Stellenausschreibung des Deutsche Börse Content Lab gestoßen. Da ich bis dahin nicht viel darüber wusste, habe ich mir die Beschreibung durchgelesen und das getan, was alle Wissenschaftler tun würden: Ich habe versucht, Näheres zu erfahren. Also habe ich das Content Lab gegoogelt und den Unternehmensbericht der Deutschen Börse mit einem Artikel über Konrad Sippel, den Leiter der Abteilung, gefunden. Mein Gedanke: „Wow, das ist eine großartige Idee“. Mir hat gefallen, dass das Content Lab wie ein Start-up in einem größeren Unternehmen agiert. Um es kurz zu machen: Ich habe mich beworben und schnell eine interessierte Antwort bekommen. Ich habe die Einstellungsgespräche absolviert und hier bin ich nun. Dass ich hierbleiben will, liegt vor allem an den Menschen, mit denen ich arbeite und die ich sehr mag. Und mir gefällt, dass die Tätigkeit hier Chancen und Herausforderungen mit sich bringt. Die Deutsche Börse produziert jede Menge Daten. Das stellt eine großartige Chance dar, die ergriffen werden sollte. Die Herausforderung besteht darin, die Daten dann effizient zu nutzen und in etwas Brauchbares umzuwandeln.

Wie können Sie Ihr Expertenwissen im Content Lab einbringen?

Als Astronom habe ich nach Sternen gesucht, deren Licht sich nach einem bestimmten Muster verändert. Jetzt versuche ich, Muster in Finanzdaten zu entdecken und dadurch Marktereignisse vorherzusagen. Für ein Anwendungsszenario habe ich beispielsweise ein Programm geschrieben, das basierend auf Daten von Clearstream und Eurex berechnet, wie viele Settlement-Aufträge zukünftig fehlschlagen werden. Diese Vorhersagen könnten dann von Clearstream genutzt werden, um solche Ausfälle zu verhindern und sicherzustellen, dass der Settlement-Prozess reibungslos abläuft. In einem anderen Fall habe ich die Muster der Settlement-Transaktionen von Clearstream-Kunden untersucht und ein System geschaffen, das für diese Kunden passende Wertpapiere empfiehlt – basierend auf ihrem eigenen sowie auf dem Verhalten zahlreicher anderer Kunden.

Lassen Sie uns noch etwas ausschweifen: Sie sind in der Forschung und in der Technologieentwicklung tätig. Ganz allgemein gesehen, welche Erfindung war in Ihren Augen die bedeutendste?

Ich würde sagen das Schreiben. Es befähigt uns, Wissen zu dokumentieren und für zukünftige Generationen aufzubewahren. Früher haben die Menschen Geschichten erzählt. Gute Geschichtenerzähler sterben aber irgendwann. Das heißt, Teile der Geschichte gehen verloren oder werden abgeändert, manchmal auch zum Schlechteren. Durch die schriftliche Aufzeichnung wird Wissen für zukünftige Generationen erhalten. Mithilfe von Computern können wir zwar mehr Wissen dokumentieren und verarbeiten, aber das ist nur eine Weiterentwicklung der schriftlichen Aufzeichnung. Letztere ist die Grundlage all dessen, was es heute gibt. Wissen war schon immer das kostbarste Gut auf der Erde.

Interview: Jürgen Pfeiffer

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