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Deutsche Börse stellt IT auf Cloud-Nutzung um

Erschienen am:
14.05.2020

Deutsche Börse stellt IT auf Cloud-Nutzung um

Im Rahmen einer umfassenden Kooperation mit dem Software-Hersteller SAP baut die Deutsche Börse ihre Corporate IT um. Kernpunkte sind die Nutzung der Cloud-Technologie und die Ersetzung ihres alten SAP-Kernsystems durch die Software-Lösung S/4Hana. Durch die Modernisierung und Harmonisierung ihrer IT-Landschaft und bestehender Prozesse setzt der Marktbetreiber nicht nur einen Meilenstein in seiner unternehmensweiten Digitalisierung. Als erster Finanzdienstleister, der die regulatorische Freigabe für die Nutzung der Cloud-Technologie erhalten hat, setzte er auch Maßstäbe für die Finanzbranche, erläutern Christoph Böhm, Vorstand und Chief Information Officer der Deutschen Börse, und Luca Mucic, Finanzvorstand der SAP.

Christoph Böhm, Deutsche Börse AG
 

Herr Böhm, welchen Hintergrund hat Ihre IT-Umstellung in Zusammenarbeit mit SAP?

Wir befinden uns in einer Transformation, integrierte Unternehmensdienstleistungen und der Einsatz von Cloud-Technologie spielen in diesem Prozess eine wesentliche Rolle. Dabei gelten besonders für die Finanzindustrie hohe regulatorische und technische Anforderungen. Wir digitalisieren unsere Prozesse und modernisieren somit umfassend unsere gesamte Corporate-IT-Landschaft - gemeinsam mit SAP haben wir ein Rahmenwerk für Cloud Infrastruktur und Services entwickelt, das diesen Anforderungen entspricht. 

Welcher Unterschied ergibt sich zu früher?

Hier stehen uns mittlerweile technisch völlig neue Möglichkeiten zur Verfügung. Die Weiterentwicklung der Cloud-Technologie ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig. In der Vergangenheit mussten beispielweise komplexe Einzelanwendungen unterschiedlicher Anbieter in den Rechenzentren aufwendig an unsere IT-Landschaft adaptiert werden. Das ändern wir jetzt und setzten mit der Einführung der gesamten Suite von SAP auf einen einheitlichen Ansatz. Regulatorisch gesehen sind allerdings auch die Anforderungen stark gewachsen, die Finanzindustrie gehört zu den Branchen, die am stärksten reguliert sind.

Warum ändern Sie das?

Moderne Corporate IT sollte hochgradig integriert und soweit wie möglich standardisiert sein und alle Arten von Diensten und Geräten unterstützen. Diese durchgängige Integration in Kombination mit dem Einsatz von Cloud bedeutet für uns, dass wir uns zukunftsfähig aufstellen – und zwar sowohl technisch wie auch prozessual. Um cloudbasierte Lösungen überhaupt anwenden zu können, müssen jedoch die regulatorischen Anforderungen in puncto Sicherheit, Datenschutz und Stabilität erfüllt werden. Das neu geschaffene Rahmenwerk adressiert die Anforderungen der internationalen Finanzmarktregulatorik in vollem Umfang.

Welche Bereiche sind von der Umstellung betroffen?

Der Anwendungsbereich bezieht sich auf die unternehmensseitige Corporate IT, d.h. alles, was wir hausintern nutzen, wird erneuert und integriert. Hierzu zählen unter anderem das Kundenbeziehungsmanagement, Analyse-Tools sowie Lösungen für das Personalwesen, die Beschaffung, Zeitarbeit sowie Geschäftsreisemanagement. Wir sind auch in der Lage, sogenannte materielle, d.h. für unser Kerngeschäft wesentliche Services auf den SAP-Angeboten in der Cloud zu betreiben. 

Welche Vorteile versprechen Sie sich?

Die Umstellung wird unsere Prozesse schneller und flexibler machen. Wir profitieren von Effizienzsteigerungen wie der Fähigkeit, größere Datenmengen zu erfassen und zu verarbeiten, und von einer auf den jeweiligen Bedarf angepassten Nutzung, der so genannten Elastizität eines solchen Systems. Damit sind wir auch in der Lage agiler auf Veränderungen am Markt zu reagieren. Erste SAP Applikationen zur Optimierung von Geschäftsprozessen im Bereich Customer Care wurden bereits erfolgreich implementiert, und wir sehen jetzt schon welche Innovationskraft und Geschwindigkeit damit verbunden sind. Und wir können neue Technologien, wie Big Data Analytics und Machine Learning als zusätzliche Services leichter einsetzen, Cloud bietet hierbei als Schlüsseltechnologie die Grundlage. Für uns ist diese Weiterentwicklung eine große und wichtige Veränderung, eine Transformation, die unmittelbar in der Unternehmensstrategie verankert ist.

Herr Mucic, was bedeutet die Kooperation mit der Deutschen Börse für SAP?

Luca Mucic, SAP SE, © SAP SE

Die Strategie der SAP ist es, unsere Kunden mit Hilfe unserer Lösungen zu einem intelligenten Unternehmen zu machen. Die Strategie, die die Deutsche Börse verfolgt, ist exakt auf unsere Strategie gemünzt. Deshalb hebt sich diese Partnerschaft auch so positiv ab. Es geht darum, eine aktuell noch monolithische und on premises (vor Ort installierte) IT-Landschaft deutlich zu verändern. Eine dementsprechend sehr schwer transformierbare Enterprise-IT-Landschaft soll in einem modularen, geschwindigkeitsorientierten Ansatz in die Cloud gebracht werden. 

Die Deutsche Börse wird in die Lage versetzt, im Rahmen von definierten End-to-End-Prozessen tatsächlich Module von der SAP, rasch und agil, standardorientiert einsetzen zu können. Mit der Analytics Cloud stellen wir einen einheitlichen Analytics-Layer zur Verfügung. Die SAP-Cloud-Plattform ermöglicht die schnelle, nahtlose und unternehmensweite Integration und Erweiterung der innovativen Lösungen. Damit sind die ganzen Bausteine des intelligenten Unternehmens miteinander verbunden. Der modulare Ansatz zeigt, dass wir mittlerweile intelligente Ansätze verfolgen können, die einen Mehrwert für die Kunden viel früher spürbar machen, als das vielleicht vor zehn Jahren der Fall war. Jetzt können wir sehr schnell großen und konkreten Mehrwert bieten.

Was für einen Zeitraum planen Sie für die Umstellung?

Böhm. Die Gespräche mit der SAP über die Corporate-IT-Landschaft begannen vor rund drei Jahren, auch wenn unsere generelle Zusammenarbeit sehr viel länger besteht. Wir erwarten für die Implementierung der SAP-Roadmap eine Gesamtlaufzeit von etwa fünf Jahren. Sie wurde in den letzten anderthalb Jahren durch eine sehr gute und enge gemeinsame Arbeit vorerprobt. Besonders positiv ist auch der gemeinsame Dialog mit den Regulatoren hervorzuheben. 

Könnten Sie etwas konkreter ausführen, welche Vorteile die Umstellung bringt?

Böhm: Nehmen Sie das Customer-Care-System, das wir vormals implementiert haben, zum Beispiel, eine On-Premises-Lösung, um die herum einiges Customizing durchgeführt wurde. Hier wurden verschiedene Technologien eingesetzt, die von den Anbietern nicht integriert und nicht sehr benutzerfreundlich waren. Aus heutiger Sicht würde man das so nicht mehr bauen. Das SAP-Angebot bietet das auf einer C/4Hana-Basis jetzt aus einer Hand an. Vorteile sind, dass die Reaktionszeiten im System für die Nutzer sich wirklich erheblich verbessert haben, während gleichzeitige die Nutzerführung modern ist und Mobil-Geräte zum PC-Arbeitsplatz oder zu einem Home-Arbeitsplatz verbindet. 

Welche Einzelschritte haben Sie für die Umstellung geplant?

Böhm. Für uns ist es wichtig, dass wir keine Big-Bang-Implementierung machen, sondern die neuen Services schrittweise zur Verfügung stellen. Wir sind guter Dinge, dass wir bis zum Ende des Jahres die Customer-Care-Landschaften vollständig aufgebaut haben, weitere Kernprozesse wie das Personalwesen, Beschaffung und das Reisemanagement sind ebenfalls in der Umsetzung. Damit haben wir dann einen wichtigen Meilenstein erreicht und können uns den nächsten Projekten zuwenden.

Wird die Umstellung für die Deutsche Börse auch zu Kostensenkungen führen?

Das Projekt hat einen Business Case. Wir erwarten in einem Zeitfenster von drei bis vier Jahren einen entsprechenden finanziellen Mehrwert aus der Implementierung. Gleichzeitig erhoffen wir uns aber noch erheblich mehr, nämlich dass die Transformation einen technologischen Schub nach vorne erzeugen wird. Zusätzlich werden, wie bereits erwähnt, Mehrwertservices verfügbar, wie zum Beispiel Machine-Learning-Möglichkeiten (ML), die wir auf unserer Systemlandschaft dann einsetzen. Wir experimentieren bereits seit einiger Zeit mit einer großen Anzahl von ML-basierten Robots und haben mittlerweile eine sehr gute Erfahrung und Sicht aufgebaut. Da bietet eine integrierte Corporate-IT-Landschaft den perfekten Umsetzungsrahmen im Gegensatz zu vielen älteren, isoliert stehenden Systemen. 

Welche regulatorischen Herausforderungen sind im Zusammenhang mit der Umstellung zu adressieren?

Böhm: Es sind insbesondere alle Aspekte rund um Datensicherheit. Konkret heißt das, im Zuge eines Outsourcings sicherzustellen, dass Transparenz über die Datenverarbeitung erfolgt. 2017 haben wir die Collaborative Cloud Audit Group initiiert, sie umfasst mittlerweile rund 50 Unternehmen, die den gleichen Fragestellungen nachgehen: Wo werden die Daten regional also örtlich gespeichert? Wie wird mit den Daten umgegangen, wie ist der Zugriff geregelt? Und wie ist protokolliert, was wann und wo passiert ist? Diese Aspekte müssen auch regelmäßig in Audits überprüft werden. Das Besondere an dem Rahmenwerk, das wir mit SAP gefunden haben, ist, dass SAP in ihren Lösungen nicht nur jetzige, sondern Anforderungen zukünftiger Regulierungen miteinbezieht. Das Produkt ist heute regulatorisch konform und wird dies auch in der Zukunft weiter sein wird. Das ist für uns ein großer Meilenstein und ein ganz wichtiges Differenzierungsmerkmal.

SAP hat unlängst bei Cloud-Anwendungen Mängel bei Sicherheit und der Erfüllung regulatorischer Anforderungen festgestellt – zwei für die Finanzbranche entscheidende Punkte. Was haben Sie dafür getan, dass dies in Ihrer Kooperation nicht passiert?

Mucic: Die Deutsche Börse und SAP planen mit dieser strategischen Partnerschaft die Digitalisierung voranzutreiben und die IT-Systeme des Frankfurter Finanzunternehmens zu standardisieren. Das Ziel ist, auch der hochregulierten Finanzbranche den sicheren Weg in die Cloud zu erschließen. Die von Ihnen angesprochenen Mängel in den Sicherheitsstandards werden bereits im zweiten Quartal 2020 weitgehend beseitigt sein. Über die entsprechenden Entwicklungen hierzu stehen wir im engen Austausch mit der Deutschen Börse.

Hat SAP mit einem ausländischen Partner mit einem vergleichbaren Projekt schon Erfahrungen sammeln können?

Mucic: Natürlich gibt es auch andere Häuser in der Finanzindustrie, die in einer ähnlichen Breite mit uns zusammenarbeiten. Da kann ich etwa Standard Chartered nennen, die bis auf eine kleine Ausnahme fast genauso umfangreich mit uns zusammenarbeitet wie die Deutsche Börse. Die Anforderungen unterscheiden sich aber zum Teil doch. So ist Standard Chartered auch in China aktiv, wo es noch einmal andere regulatorische Einzelvorgaben zu erfüllen gilt. Um diese Vorgaben zu verstehen und lokal umzusetzen, bedarf es einer engen Zusammenarbeit, tiefgreifender Industrie-Expertise und ein sehr genaues Verständnis der Datenhandhabung in den eigenen Anwendungen. Ich kann mich an Workshops erinnern, in denen wir über Stunden die notwendigen Details zum Datenschutz und der Rechtslage zusammen herausgearbeitet haben.

Was zeichnet die Zusammenarbeit mit der Deutschen Börse aus?

Mucic: Die Geschwindigkeit, mit der wir hier vorangekommen sind. Viele Bestandteile sind drei Jahre nach den ersten Gesprächen über einen möglichen Rahmen schon live geschaltet, das ist ein großer Erfolg, den wir auch dem Team der Deutschen Börse zu verdanken haben.

Inwieweit ist das Rahmenwerk auch eine Art Referenz für andere Unternehmen der Finanzindustrie?

Böhm: Das Rahmenwerk, das wir zusammen ausgehandelt und entwickelt haben, ist darauf ausgelegt, anderen Unternehmen als Blaupause zu dienen. Das ist sicherlich im Interesse aller Beteiligten, in Deutschland aber auch in anderen Ländern. Jeder, der ein vergleichbares Vorhaben angeht, wird mehr oder weniger bei den gleichen Fragestellungen landen. Wenn man da auf etwas aufbauen kann, das den Charakter eines Rahmenwerks hat, dann schafft das Vertrauen und Sicherheit. Wir sind hier Vorreiter, uns ist wichtig, diese Ergebnisse mit der Industrie zu teilen. Der Dialog mit unterschiedlichen Parteien und mit unseren Kunden ist dabei ganz wesentlich. Wir wollen zeigen, wie man große technologische Fortschritte auch in einer regulatorisch sehr anspruchsvollen Umgebung erzielen kann, indem man eng zusammenarbeitet, sich Aufgaben teilt und dabei immer offen mit dem Regulierer kommuniziert.

Geht diese enge Zusammenarbeit auch mit einer gewissen Exklusivität einher?

Böhm: Was wir hier gemeinsam machen, ist darauf ausgerichtet unsere bestehende Zusammenarbeit mit anderen Partnern zu ergänzen. Im Rahmen unserer Multi-Cloud-Strategie haben wir mit Microsoft und Google Anbieter gewählt, die große Stärken in ihrem jeweiligen Bereich haben und mit SAP einen weiteren sehr starken Partner auf seinem Gebiet. Wir haben uns entschieden, das Angebot der SAP vollumfänglich zu implementieren. Das ist ein Modell, das von uns sorgfältig abgewogen und bewusst gewählt wurde. Denn wir sind überzeugt, dass es mehr Vorteile bringt, den Weg der Digitalisierung voll integriert anzugehen.

Mucic: Im rechtlichen Sinne ist damit aber keine Exklusivität verbunden. Das würde auch dem Geiste unserer Zusammenarbeit widersprechen, gemeinsam Standards für die Finanzindustrie zu setzen. Ein Standard, den nur einer nutzt, ist nicht wirklich ein Standard. Wir setzen hier eher auf einen Leuchtturmeffekt.

Hat die aktuelle Coronakrise Einfluss auf ihre Zusammenarbeit gehabt?

Böhm: Mit der Coronakrise sind wir in unserem Plan, unsere IT-Landschaft zu modernisieren und komplett zu digitalisieren, nur weiter bestärkt worden. Wir haben schon sehr früh zu Beginn der Krise umgesetzt, dass wir nahezu komplett dezentral arbeiten. Rund 95% unserer Mitarbeiter konnten schon in den ersten Wochen von zu Hause arbeiten. Das hat sehr gut funktioniert. Auch bei unseren SAP Projekten hatten wir zuletzt einen gleichmäßigen Arbeitsfortschritt und erleben keine Verzögerungen.

Mucic: Auch bei SAP sind schon seit längerem mehr als 95% der Mitarbeiter im Home Office, und SAP war hier schon immer sehr flexibel. Gerade bei unserem Service- und Beratungsgeschäft, bei dem wir unsere Kunden bei der Inbetriebnahme unserer Software unterstützen, ist der Anteil der Remote-Lieferungen im ersten Quartal schon kräftig auf 76% gestiegen und im zweiten Quartal mittlerweile bei fast 100%. Die Tatsache, dass mehrere Hundert Kunden im vergangenen Quartal live gegangen sind mit S/4HANA zeigt, dass mittlerweile auch komplexe Implementierungen remote durchgeführt werden können.

Das Interview erschien zuerst in der Ausgabe der Börsen-Zeitung vom 13. Mai 2020.

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